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Inmitten einer lauten Minderheit

Liefert Facebook einen Einblick, was „das Volk“ denkt? Wohl kaum! Das zeigt eine beeindruckende Recherche des Onlinemediums mokant.at, bei der Millionen von Kommentaren im Wahlkampf analysiert wurden. Chefredakteurin Sofia Palzer-Khomenko erklärt, wie eine Minderheit die Debatte prägt

Es ist Anfang November 2017. Der Nationalratswahlkampf ist gerade zu Ende gegangen. Wir – die Mitglieder des Rechercheteams von mokant.at – sitzen in meinem Wohnzimmer an unseren Laptops. Vor uns: Leere Kaffeetassen und ein Berg von Daten. Er enthält 2,9 Millionen Kommentare. Es sind Kommentare, die Facebook-User in den Monaten vor der Wahl auf 40 Facebook-Seiten von Medien und Politikern gepostet haben. Werden uns die Daten etwas über den politischen Diskurs auf Facebook verraten können? Wir fangen an: es gibt viel zu rechnen.

Als wir einige Monate zuvor mit unserer Recherche zum politischen Diskurs auf Facebook beginnen, treibt uns vor allem die Frage an, wie sich Fake News verbreiten. Auf den ersten Blick scheinen es tausende Menschen zu sein, die aus Wut, Angst oder Interesse Meldungen teilen. Doch bald machen wir eine interessante Entdeckung: Gewisse User kommen uns immer wieder unter. Meist sind es „Geister-Accounts“, User, die kaum Informationen über sich preisgeben. Dafür sind sie hochaktiv, posten ununterbrochen.

 

Die Macht der wenigen

Das Bild der abertausenden Menschen, die auf Facebook die politische Debatte beeinflussen, beginnt zu bröckeln und eine neue Frage fängt an, uns zu beschäftigen. 3,8 Millionen Österreicherinnen und Österreicher sind monatlich auf Facebook.1 Doch: Wie viele davon beteiligen sich am politischen Diskurs? Könnte es sein, dass dieser nur von einigen wenigen dominiert wird?

Anfangs handelt es sich hier vor allem um unsere eigenen Beobachtungen. Wir legen dann eine Datenbank an, in der wir penibel alles erfassen, was uns relevant scheint: Facebook-Seiten, Gruppen, User. Doch um echte Schlüsse ziehen zu könne, fehlt uns noch die große systematisch erfasste Datenmenge.

Das ändert sich bald, denn ein neues Teammitglied stößt zu uns: David Tichy ist IT- und Datenspezialist. Er kann genau das, was wir brauchen: über die Facebook Graph-API systematisch Daten auslesen. Wir beginnen also, Userdaten zu sammeln. Im November 2017 ist es dann soweit. Der Wahlkampf ist gerade vorbei und die Daten liegen vor uns: 2,9 Millionen Kommentare auf 40 Facebook-Seiten, gepostet von 400.000 Usern. Es scheint so, als würde eine Vielzahl an Menschen an politischen Diskussionen auf Facebook teilnehmen. Stimmt das? Können wir aus den Kommentaren herauslesen, was die Mehrheit in Österreich denkt? Wir fangen an zu rechnen und haben das Ergebnis bald vor uns.

Die Analyse zeigt: Es ist eine kleine mächtige Minderheit, die die politische Diskussion rund um den Wahlkampf beherrscht. Der überwiegende Teil der Kommentare stammt von einem Bruchteil der Facebook-Nutzer.

Ungleichgewicht in Debatte

Die 2,9 Millionen Kommentare stammen zwar von etwa 400.000 Personen. Die meisten User posteten während der Monate vor der Wahl aber nur einige wenige Kommentare, ein großer Teil nur einen einzigen. Die Hälfte der Kommentare stammt von etwa 8900 Personen. Das sind gerade einmal 2 Prozent von allen, die kommentiert haben. Bei diesen 2 Prozent handelt es sich um User, die 50 oder mehr Kommentare auf den untersuchten Facebook-Seiten posteten.

38 Prozent der Kommentare – über eine Million – stammen von etwa 4100 Usern (1 Prozent aller User die kommentiert haben). Diese User haben jeweils 100 oder mehr Kommentare verfasst. Sieht man sich jene User an, die mindestens 500 Kommentare posteten, bleiben 400 Personen, von denen rund 360.000 der Kommentare stammen. Gerade einmal 0,1 Prozent der User sind für  12,6 Prozent der Kommentare verantwortlich.

Wer sind die überaktiven User?

Dass die überwiegende Mehrheit der User nicht an Diskussionen teilnimmt, sehen wir gut an den Zahlen von Facebook-Seiten großer Medien. Die „Kronen Zeitung“ hatte zu Beginn des Jahres 2018 rund 291 000 Fans. Ein Drittel der 426.000 von uns erfassten Kommentare auf der Facebook-Seite stammt von ca. 1250 Usern. Die politische Diskussion wird auch bei der „Presse“ von einer Minderheit stark beeinflusst – zwar erntet die Zeitung vor der Wahl 215.000 Kommentare, doch 30 Prozent dieser Meldungen stammen von etwa 650 Menschen.“

Etwa 80 User waren in unserer Auswertung besonders aktiv: sie haben in den Monaten vor der Wahl über tausend Kommentare verfasst. Darunter sind User, die Werbung für Parteien machen und unangenehme Fans, die andere User beschimpfen. Es gibt sie in allen politischen Lagern. Wer tatsächlich hinter den Accounts steckt, ist oft unklar, da viele kaum Informationen über sich preisgeben. Wenn man ihre Kommentare liest, bekommt man den Eindruck, dass sie viele Stunden investiert haben müssen. Und dass sie bewusst im Wahlkampf mitmischen wollten. Denn viele von ihnen sind zur Wahl hin immer aktiver geworden. Einige haben nach der Wahl gar nichts mehr kommentiert, andere Accounts sind nach der Wahl gelöscht worden.

Offensichtlich und plump agierende „Social Bots“2, so wie diese im US-Wahlkampf auf Twitter massenweise beobachtet wurden, konnten wir nicht finden. Es gibt in unserer Datenbank keine Accounts, die zum Beispiel immer zur selben Zeit posteten. Sehr wohl aber fanden wir Facebook-Accounts, bei denen der Verdacht naheliegt, dass sie teilweise automatisiert sind. Darunter sind User, die immer wieder denselben Satz posteten oder deren Sätze oft aus den gleichen Textbausteinen bestehen. Diese reichen von kurzen Ausdrücken, wie „Genau“ bis hin zu ganzen Sätzen mit Wahlwerbung.

Ein Account ist interessant: inhaltlich äußerte er sich selten zu Themen, hauptsächlich beschimpfte er User, die sich kritisch über die FPÖ äußerten. In seinen Kommentaren findet man immer wieder dieselben Bausteine. Das Spannende ist aber etwas anderes: Er postete bis zu 20 Kommentare in derselben Sekunde. Wir haben probiert, es ihm nachzumachen: ohne einen technischen Trick oder entsprechende Software scheint das nicht möglich zu sein. Gibt es Software, um so viel zu posten? Ja, jeder kann sie online kaufen, die Benutzeroberfläche ist simpel und erinnert an ein Microsoft-Office-Programme. Mit der Software kann man hunderte Accounts zentral steuern, mit ihnen Freundschaftsanfragen verschicken, liken und kommentieren.

Neue Manipulations-Formen

Unsere Recherchen zeigen, dass es noch weitere simple Möglichkeiten gibt, den politischen Diskurs zu manipulieren. Zahlreiche Webseiten verkaufen täuschend echte Fake-Fans mit Namen und Foto. In Foren bieten Menschen ihre echten Accounts an. Gegen Geld liken oder kommentieren sie die gewünschte Seite. Ob etwas davon im Wahlkampf zum Einsatz kam, wissen wir nicht. Es wäre möglich. Genauso gut kann es sein, dass hinter den besonders aktiven Accounts einfach politisch engagierte Menschen stehen, denen Facebook ermöglicht, besonders laut und vehement aufzutreten

Auf Facebook herrscht nur scheinbar eine Vielfalt an Meinungen, geschrieben von einer Vielzahl an Menschen. Unsere Analyse zeigt, dass es eine Minderheit war, die den Diskurs rund um den Wahlkampf bestimmt hat. Einen Diskurs, der oft emotional aufgeladen ist, bei dem Extreme dominieren und sachliche Argumente sowie moderate Diskutieren in den Hintergrund geraten. Die Mehrheit der Facebook-User liest nur mit. Das macht es sehr einfach das Meinungsklima auf Facebook zu beeinflussen.

 

Zur Autorin

Sofia Palzer-Khomenko ist studierte Kommunikationswissenschafterin und Chefredakteurin von mokant.at. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen digitaler Journalismus, Daten­journalismus und Medienkompetenz

Das mokant.at-Team besteht aus: Sofia Palzer-Khomenko (Leitung), Barbara Bürscher (Redakteurin), Manuela Griessbach (Redakteurin), David Steiner (Redakteur), Markus Palzer-Khomenko (Geologe, Experte für Datenbanken und Datenanalyse), David Tichy (Data Warehouse Entwickler, Experte für Data Engineering)

Diese Recherche von mokant.at wurde gefördert von netzwerk recherche

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